Adolph Schulze
male
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Bei ge xing 悲歌行: No title ("Hört dort unten im Mondschein") (with Jitong Chen) (Li Bai 李白)
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Hört dort unten im Mondenschein Den Affen, welcher zusammengekauert Einsam auf einem Grabe weint! Und jetzt füllet mein Glas: Es ist Zeit, es mit einem Zuge zu leeren!–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 48.
Excerpt of the last stanza of the original poem. -
Bo zhou "Fan bi bo zhou, yi fan qi liu" 柏舟 "汎彼柏舟,亦汎其流": Seufzer (with Jitong Chen) (Anonymous (Shijing))
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Ich stieg in die Barke von Tannenholz Und ließ mich von der Strömung treiben. Ich kann bei Nacht kein Auge schließen: Mein Herz scheint von geheimem Kummer erfüllt. Mein Herz ist kein Spiegel, In dem ich sehen könnte, was es leidet; Und meine Brüder, die keine Stütze für mich sind, Werden böse, wenn ich von Traurigkeit spreche. Mein Herz gleicht nicht einem Steine, Den man noch schleifen kann, Es ist nicht wie ein Vorhang, Den man beliebig auf- und abrollt. Es ist voll Gradheit und Rechtschaffenheit; Ich kann es selbst nicht lenken. Wie groß ist meine Traurigkeit! Fast alle sind eifersüchtig auf mich; Zahlreiche Verleumdungen stürmen auf mich ein Und auch der Spott verschont mich nicht. Was hab' ich denn nur getan? Ich kann die Hand aufs Herz legen. Die Sonne strahlt beständig, Aber der Mond nimmt täglich ab; Warum sind die Rollen gewechselt? Mein Herz ist wie betäubt, Ähnlich dem Zeug, das man nicht bleichen kann. O, wenn ich sinne in der Einsamkeit, Dann bedaure ich, nicht davonfliegen zu können.–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 40f. -
Chang hen ge 長恨歌: Die Liebe (with Jitong Chen) (Bai Juyi 白居易)
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Der Kaiser Ming-Hoang hätte gern Die vollkommenste Schönheit seines Landes besessen. Doch während vieler Jahre Blieb sein Suchen fruchtlos. Allein die Familie Yang besaß Ein junges Mädchen von strahlender Schönheit. Doch sie wohnte bei den Eltern und niemand kannte sie. Aber die von der Natur geschaffene Schönheit Kann nicht verborgen bleiben; Sie wurde auserwählt und zum Kaiser geführt. Tausendfache Anmut strahlte aus ihrem Lächeln; Die gefeiertsten Schönen des Hofes erbleichten neben ihr. Wenn sie in des Frühlings Morgenfrische Im Teiche von Hoa-Tsing badete, Hätte man glauben mögen, ihr Körper sei durchsichtig, Und wenn sie dem lauen Wasser entstieg, Schien sie sich wie ein ideales Wesen ohne Schwere zu erheben. Des Herrschers Huld ward ihr in reichem Maße zuteil. Gleich Wolken umwogte sie ihr langes Haar, Ihr Antlitz strahlte wie der Blumen Glanz Und wie beflügelt war ihr Schritt. Zu schnell verflossen in ihrer Gegenwart die Stunden; Selbst auf der Reise mußte sie den Kaiser begleiten Und alles gehörte ihr. Ein goldenes Schloß ließ ihr der Kaiser bauen Und Gartenhäuschen von edlen Steinen; Ihre Geschwister wurden geadelt Und ihre Familie zu hohen Ehren erhoben. Vom höchsten Turm des Schlosses Vernahm man die Harmonie ihrer fröhlichen Musik Und Tanz und Gesänge Entzückten alle Augenblicke den Kaiser. Plötzlich hört man die Trommeln wirbeln: Ein Aufruhr ist ausgebrochen, Der die Fröhlichkeit unterbricht. In der Ferne jenseits der Städte erhebt sich der Staub; Die Wagen und Pferde stürzen gen Südosten. Schon mehr als hundert Meilen hat Das kaiserliche Gefährt durcheilt. Es wird angehalten; alle weigern sich, den Marsch fortzusetzen. Der Kaiser muß sich zum Tode seiner Geliebten entschließen; Alle ihre Edelsteine sind auf der Erde zerstreut; Das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, Weint der Herrscher blut'ge Tränen, Während er diesem traurigen Schauspiel beiwohnt, Ohne die, welche er liebt, retten zu können. Inmitten des gelben Staubes, Den ein heftiger Wind aufwühlt, Gelingt es endlich, auf steilen, gewundenen Wegen Einen Halteplatz zu gewinnen. Am Fuße des Berges sind die Reisenden selten; Die Fahnen glänzen nicht mehr unter der bleichen Sonne; Die blauen Wogen des Flusses, das Grün der Felder Vermehren noch die Traurigkeit des Kaisers. Sein Herz will brechen; beim klaren Schimmer des Mondes Krampft es sich zuckend zusammen. Endlich kehrt der Kaiser in die Hauptstadt zurück; Als er an dem Grabe vorbeikommt, Wo die Heißgeliebte ruht Und das seinem Herz so teure Antlitz nicht mehr sieht, Bleibt er unbeweglich halten Und Herrscher und Diener sehen sich an, Die Augen voll von Tränen. Im Schlosse weckt der Anblick der Erinnerungszeichen, Die alle unverändert geblieben Von neuem seine Seufzer. Die Pfingstrosen rufen ihm die Frische ihres Teints Und die Weiden ihre Augenbrauen zurück Und von neuem fließen seine Tränen. Die gelben Blätter bedecken die Wege des Gartens Und das Haar der Musikanten scheint gebleicht. Die Diener sind alt geworden. Des Abends beleben Glühwürmchen Die Wüstenei ringsum Und die Lampen erlöschen; Doch der Kaiser findet keinen Schlaf. Wie lang die Abende sind! Er zählt die Stunden, bis die Sterne erbleichen. Der Frost überzieht die Dächer mit Reif. Sein Lager dünkt ihm kalt wie Stein. Jahre schon währte die Trennung Und nie ist, ach, der Geliebten Seele In seine Träume zurückgekehrt. Ein Priester von Ling-Kung, Der die Macht besaß, mit Geistern zu verkehren, Hörte, daß der Kaiser von Liebesgram gequält sei, Und bot ihm seine Dienste an, Den Geist der Geliebten aufzusuchen. Er durchmißt den Raum; er schreitet wie die Blitze Über die Wolken dahin. Er steigt in den Himmel, er dringt in die Tiefen der Erde, Doch nirgends in der Unendlichkeit findet er den Geist der Geliebten. Mit einemmale hört er, daß es im Meere Einen von Unsterblichen bewohnten Geisterberg gibt. In seinen durchsichtigen Hallen, Die bis in die Wolken hineinragen, Weilen Frauen von hoher Schönheit. Eine von ihnen trägt den Namen der Geliebten; Ihr Antlitz hat denselben Glanz Und wie der ihre ist ihr Leib von Schnee. Alsbald begibt er sich dahin und klopft an die Tür Von Edelstein im Westen des goldenen Hauses Und nennt seinen Namen ... Als die Favoritin in ihrem Schlummer vernimmt, Daß der Abgesandte des Kaisers Nach ihr fragt, verläßt sie mit einem Sprunge ihr Götterbett. Hastig legt sie ihre Gewänder an Und eilt durch die Perlenvorhänge, Die sich bei ihrem Nahen öffnen. Gleich Wolken umwogt sie ihr Haar; Sie sieht aus, als ob sie noch schliefe. Der leichte Wind schwellt ihre weiten Ärmel, Die sich noch der fröhlichen Tänze von früher erinnern. Die Tränen flossen über das traurig schöne Antlitz. Sie glich der Schneeblume Nach erfrischendem Morgenregen. Mit zärtlichem Blick, die Augen auf den Boden geheftet, Fragt sie nach dem Ergehen des Kaisers Und dankt ihm, daß er noch an sie gedacht. Sie sagt, daß seit der Trennung Unendlich alles ihr erschienen sei. Die Zeiten der Gunstbezeugungen und der Liebe waren vorbei, Sie fand Gefallen an der Unendlichkeit ihres Aufenthaltes. Bisweilen beugt sie sich herab Und läßt die Blicke nach der Hauptstadt schweifen, Doch hat nur Staub und Nebel sie gesehen. Alsdann überreicht sie dem Boten Eine Nadel und ein goldenes Armband, Um es dem Kaiser zu übergeben Als Zeichen ihrer Liebe. Wenn das Herz des sterblichen Kaisers, sagt sie, So rein ist als dieses Gold, So können wir uns wiederseh'n, Trotz der Grenzen zwischen Himmel und Erde. Im Augenblick des Scheidens Vertraut sie dem Boten einen geheimen Wunsch, Den er dem Kaiser wiederholen soll: Er möge sich erinnern, Daß sie am siebenten Tage des siebenten Monats, Inmitten der Stille der Nacht ein Gelübde getan, Sie möchten im Himmel verwandelt werden In zwei Vögel, die stets zusammenfliegen, Und auf Erden in zwei verschlungene Zweige Desselben Baumes, Und daß sie gesagt hätten: 'Die Ewigkeit kann ein Ende haben, doch unsere Liebe nicht!'–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 51-55. -
Cheng du fu 成都府: No title ("Immer neue Völker und Flüsse") (with Jitong Chen) (Du Fu 杜甫)
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Immer neue Völker und Flüsse Ziehen an meinen Augen vorüber. Doch, ach, mein armes Heimatsdorf Will sich nicht zeigen; Während der große Kiangstrom Seine Fluten reißend gen Osten wälzt, Werden die Tage des Verbannten immer länger Und scheinen kein Ende nehmen zu wollen.–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 49. -
Chu qi dong men 出其東門: No title ("Vor dem Tore der Stadt im Osten") (with Jitong Chen) (Anonymous (Shijing))
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Vor dem Tore der Stadt im Osten Sieht man zahllose schöne Frauen, Welche den Wolken gleichen: Doch ob sie auch den Wolken gleichen, Sie sind nicht der Gegenstand meiner Träume: Viel teurer ist mir meine Gefährtin In ihrem einfachen, weißen Kleide. Rings außerhalb der Mauern der Stadt Sieht man anmutige, schlanke Frauen, Die den Blumen des Feldes gleichen. Doch ob sie auch den Blumen des Feldes gleichen, Sie können meine Liebe nicht erringen, Denn das weiße Kleid und der rosige Teint Meiner Frau sind mein einziges Glück.–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 40. -
Chun si "Yan cao ru bi si" 春思 “燕草如碧絲“: Der Frühling (with Jitong Chen) (Li Bai 李白)
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Das Gras ist zart und grün Wie Seidenfäden. Der Maulbeerbaum öffnet alle seine grünenden Blätter; Das ist die Zeit, wo du an die Heimkehr denken solltest. Mein Herz vergeht vor Traurigkeit. Doch warum ist der Zephyr, den ich nicht kenne, Nur bei mir eingekehrt?–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 56. -
Jia ren 佳人: Die Verlassene (with Jitong Chen) (Du Fu 杜甫)
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Eine Frau von strahlender Schönheit, Aus edlem Geschlecht hervorgegangen, Hat sich in die Einsamkeit der Berge zurückgezogen, Wo sie verlassen inmitten der Blumen, Ihrer einzigen Gefährten, lebt. Eines Tages, so erzählte sie, Brach ein Aufruhr an den Grenzen des Reiches aus. Meine Brüder wurden erschlagen. Ach, warum wurden sie für die Ehre erzogen? Wir konnten nicht einmal ihre Gebeine sammeln. Alles muß einst ein Ende nehmen! Die Taten eines Helden gleichen Den Strahlen der Flamme, Die ein Hauch auslöscht. Mein Gatte, der ungetreue, hat mich verlassen Und seine neue Frau ist schön wie ein Edelstein. Er hat nur Blick für das Lächeln dieser Frau Und ist unempfindlich für meine Seufzer. So strömt der flüssige Kristall der Quelle Verdunkelt aus dem Innern des Berges. Die Magd hat meine Perlen verkauft Und das Dach meiner Hütte Mit Stroh gedeckt ... Ich pflücke Blumen, doch werde ich nimmer Mein dunkles Haar damit schmücken. Ich sammle selbst mit meinen Händen Das dürre Holz Und um der Kälte Trotz zu bieten, Habe ich nichts als mein dunkles Kleid. Allein ich lehne mich gegen den Bambus Und warte, Die trüben Augen auf die untergehende Sonne gerichtet.–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 49f. -
Lü ye shu huai 旅夜書懷: Auf der Reise (with Jitong Chen) (Du Fu 杜甫)
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Zwischen den Ufern, besät mit Blumen, Mit denen der Zephyr spielt, Treibt mein einsames Schiff dahin. Nur der Mast wirft seine Schatten In der einsamen Nacht. Das gestirnte Firmament eröffnet Den Blick in das unendliche Weltall; Das Mondlicht bricht sich in tausend Strahlen, Welche auf den schimmernden Wogen dahinfließen. Und ich gedenke, daß Ruhm und Ehre Sich nicht allein auf Talente gründen ... Das Alter kann Ungnade verursachen. Und heute irre ich im Weltall umher Und gleiche dem Schwan auf den Wassern.–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 50. -
Pi pa xing 琵琶行: Die Laute (with Jitong Chen) (Bai Juyi 白居易)
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Nach den Ufern des Flusses Tschang-Yang Geleite ich bei Nacht einen Freund zurück. Die Bäume und das Schilf, Vom Herbstwind bewegt, Flüsterten traurig. Ich war vom Pferde gestiegen und begleitete Meinen Freund auf sein Schiff. Wir wollten noch ein letztesmal trinken, Bevor wir Abschied nahmen. Doch ohne Musik waren wir nicht fröhlich Und fünf Minuten nur trennten uns von dem Abschiede. Der Mond übergoß den Strom Mit schwermütigem Licht. Plötzlich hören wir den Ton Einer Laute. Mein Freund und ich vergaßen die Stunde der Abreise Und indem wir den Tönen folgten, Suchten wir den Spieler zu entdecken. Wir trieben unser Schiff heran. Wir rufen. Allein die Töne schweigen, man zögert, Uns zu antworten. Doch unsere Einladung ist dringend; Wir wiederholen sie und decken von neuem den Tisch; Die Lampen werden angezündet. Endlich erkennen wir eine Frau, Deren Gestalt halb von der Laute verborgen ist. Sie willigt ein, auf unser Schiff zu kommen. Die ersten zitternden Töne, Als sie die Saiten stimmt, Drücken schon ein Gefühl aus: Jeder Ton ist gedämpft, aber ausdrucksvoll, Verschleiert wie von Traurigkeit. Dann beginnt sie zu spielen. Die Griffe bilden Windungen auf den Saiten; Sie kommen und gehen; Sie steigen Oktaven auf und nieder. Die tiefen Saiten rauschen wie die Flut; Die oberen flüstern leise. Plötzlich werden die Töne lebendiger; Man glaubt einen Perlenregen zu vernehmen, Der auf eine Marmorplatte fällt. Die Skala gleicht dem Gesang der Nachtigall Oder dem Sturz des Wasserfalles. Die Pausen drücken eisige Traurigkeit aus. Das Ende der Melodie gleicht einem zerbrochenen Gefäß, Aus dem das Wasser reichlich strömt hervor. Es gleicht auch dem Zusammenstoß von Reitertruppen, Wenn Panzer und Lanzen aufeinanderklingen. Zum Schlusse führt sie den Bogen über die Saiten, Die unter einem einzigen Strich erzittern, Wie wenn man ein Stück Zeug zerreißt. Auf allen Schiffen im Osten und im Westen Ist es in diesem Augenblick still; man sieht nur Den Schein des Mondes auf der Oberfläche des Wassers. Sie hat aufgehört und sich erhoben, um ihre Wirte zu begrüßen. Sie erzählt, dass sie aus der Hauptstadt ist. Mit dreizehn Jahren hat sie die Laute spielen gelernt Und ihr Name ist einer der ersten Unter den Künstlerinnen geworden. Ihre Stücke entzückten die Kenner; Sie erregte die Eifersucht aller Frauen. Alle jungen Leute der Hauptstadt bewunderten sie; Jedes ihrer Stücke wurde Mit unschätzbaren Geschenken bezahlt. Die Edelsteine füllten ihre Wohnung. Wie oft wurde auf ihren roten Röcken Der Wein vergossen! Das Jahr verging in Festen, Der Frühling und der Herbst verflossen, Ohne daß sie es bemerkte, Ihr Bruder ist zum Militär gegangen, Ihre Mutter ist gestorben; Von Tag zu Tag ist ihre Jugend dahingewelkt. Die Wagen und Pferde vor ihrer Tür Sind seltener geworden Und sie hat sich entschlossen, Sich mit einem Kaufmann zu verheiraten. Doch dieser Kaufmann liebt nur das Geld; Er hat kein Gefühl für die Schmerzen der Trennung. 'Vor einem Monat zog er fort, um Tee zu kaufen. Seit seiner Abreise hüte ich allein das Schiff, Um welches der Mond und das Wasser Eine furchtbare Kälte verbreiten. Heute abends, als ich meiner frohen, So glücklich verlebten Jugend gedachte, Habe ich geweint Und gespielt, um mich zu zerstreuen.' Ich hatte Sympathie empfunden, Als ich das Spiel der Künstlerin hörte; Aber nach ihrer Erzählung mußte ich seufzen. Wir alle sind die Ausgestoßenen des Weltalls; Brauchen wir uns zu kennen, Ehe wir uns begegnen? Auch ich habe seit einem Jahre die Hauptstadt verlassen; Ich lebe krank in meinem Exil, Wo es keine Musik gibt. Während des ganzen Jahres habe ich keinen melodischen Ton gehört. Meine Wohnung am Ufer des Flusses ist sumpfig; Gelbes Schilf und Bambusrohr umgeben sie. Wißt ihr, was ich Tag und Nacht höre? Weinende Vögel und seufzende Affen. Trotz der Blumen des Frühlings und des Herbstmondes Gieße ich den Wein stets allein in mein Glas. Wohl höre ich den Gesang der Bergbewohner Und den Ton der Schalmeien aus dem Dorfe; Aber diese Musik betäubt mich, Ohne mir Freude zu machen. Heute Abend, als ich deine Laute vernahm, War es mir, als hörte ich Den Gesang der Engel, und ich war entzückt. Spiele noch ein Lied, ich bitte dich, Damit ich diese glückliche Begegnung niederschreiben kann. Gerührt durch meine Bitte, spielte sie stehend. Ihr Gesang war traurig; die ganze Zuhörerschaft War bewegt und ich selbst habe geweint.–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 56-59. -
Xia ri nan ting huai xin da 夏日南亭懷辛大: No title ("Das Licht über den Bergen") (with Jitong Chen) (Meng Haoran 孟浩然)
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Das Licht über den Bergen Verdunkelt sich nach und nach im Westen Und sanft im Osten steigt der Mond empor. Ich löse mein Haar auf Und öffne weit die Fenster, Die frische Nachtluft einzulassen. Der schmeichelnde Wind trägt mir den süßen Duft Der Wasserrosen zu Und von den Bambusblättern hör' ich fallen Tropfen für Tropfen den Tau. Ich wollte meine Laute nehmen Und spielen. Aber, ach! Niemand kann mich hören noch verstehen. Das macht, weil du In meinen Träumen und Gedanken schwebst, Bei Tage und bei Nacht.–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 56. -
Xia zhong nan shan guo hu si shan ren su zhi jiu 下終南山過斛斯山人宿置酒: Die Nacht bei einem Freunde (with Jitong Chen) (Li Bai 李白)
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Ich bin am Abend hinabgestiegen Von einem mit Grün bedeckten Berge. Der Mond begleitete mich auf meinem Wege Und als ich mich umwandte, Um auf die durchwanderte Strecke zurückzublicken, Sah ich nur eine mit dichtem Grün bedeckte Ebene. Du nahmst mich bei der Hand; Du führtest mich nach deiner ländlichen Wohnung. Deine Kinder kamen und öffneten, Als wir den Bambuspfad durchschritten hatten, Dessen Schlingpflanzen hie und da An meinem Reisekleide haften blieben. O, du holde Gastfreundschaft! Welch köstlichen Wein wir trinken! Mit lautem Gesang Begleiten wir die Harmonie des Windes, Der durch die hohen Bäume zieht, Wie das Brausen ferner Wasserfälle. Und wenn unser Gesang beendet ist, Gewahren wir, daß die Gestirne Zu erbleichen beginnen. Dann unterliegen wir beide dem Schlummer Und haben das Weltall vergessen.–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 55. -
Xing xing you qie lie pian 行行遊且獵篇: No title ("In seinem ganzen Leben öffnet er nicht ein einziges Buch") (with Jitong Chen) (Li Bai 李白)
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In seinem ganzen Leben öffnet er nicht ein einziges Buch, Aber er versteht sich auf die Jagd. Er ist geschickt, stark und mutig. Wenn er galoppiert, wirft er keinen Schatten. Wie stolz und hochmütig sieht er aus! Wie groß ist doch der Unterschied Zwischen unsern Gelehrten Und diesen unerschrockenen Spaziergängern! Jene ergrauen über den Büchern, Hinter aufgezogenen Vorhängen – Und, in Wahrheit, zu welchem Zweck?–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 48. -
Yan cheng dong zhuang "Yi nian shi you yi nian chun" 宴城東莊 ”一年始有一年春“: No title ("Jedes Jahr hat nur einen Frühling") (with Jitong Chen) (Cui Mintong 崔敏童)
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Jedes Jahr hat nur einen Frühling Und doch, wie viele Hundertjährige Sieht man im Laufe von hundert Jahren? Wie oft könnten wir uns berauschen Inmitten der Blumen? Wenn auch dieser Wein teuer wäre, Brauchte man doch nicht den Preis zu bedauern.–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 48. -
Yu hua gong 玉華宮: Ich bin bewegt von tiefer Traurigkeit [Ausz.] (with Jitong Chen) (Du Fu 杜甫)
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Ich bin bewegt von tiefer Traurigkeit Und lasse in das dichte Gras mich nieder. Ich beginne einen Gesang, in dem mein Schmerz zum Ausdruck kommt. Die Tränen übermannen mich und fließen reichlich ... Ach, wer könnte lange wandeln Auf dem Wege des Lebens, Den jeder für sich durchläuft?–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 47. -
Zeng wei ba chu shi 贈衛八處士: Heimkehr und Lebewohl (with Jitong Chen) (Du Fu 杜甫)
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Der Abend und der Morgenstern Begegnen sich nicht; So sagt man, ist es auch mit den Menschen. Was ist denn dieser Abend, Der uns beide vereinigt Beim Schein der Lampe? Wie lange hat die Zeit der Jugend gedauert? Unser Haar ist schon gebleicht; Die alten Freunde, nach denen wir fragen, Sind, ach, schon lange tot. Wer hätte vor zwanzig Jahren geglaubt, Daß ich in dein Haus zurückkehren würde? Als ich dich verließ, warst du nicht vermählt ... Und jetzt ist die Zahl deiner Kinder groß. Dort kommen sie mit fröhlichem Lächeln, Sie nennen mich ihren Onkel Und fragen, woher ich komme. Während des Geplauders mit den Deinigen Ist das Festmahl schon angerichtet. Du selbst hast das Gemüse geschnitten Während des nächtlichen Regens Und den Reis der neuen Ernte für mich zubereitet. Da wir uns nach so vielen Mühsalen wiederfanden, Sagtest du, ich müßte zehn Tassen trinken ... Doch nicht um mich zu berauschen, Sondern um mich empfinden zu lassen Die Glut deiner alten Freundschaft. Ach, morgen schon werden wir wieder getrennt sein Durch zahllose Berge Und die Welt wird kein Ende für uns haben.–
in: Rheden, Peter (ed.). Chinesisch-deutsche Gedichte. Eine Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen. Zweiter Teil: Zweites ausführliches Literaturverzeichnis – Mit Zitaten zu den Kapiteln: Chinesische Poesie, Literatur, Kultur, Gymnasial-Programm-Abhandlung aus dem XXIX. Jahresbericht des f.b. Vinzentinums in Brixen, Südtirol. Brixen: Verlag des f. b. Vinzentinums, 1904. p. 50f.